kotojannis

Über die Extremhitze und wie man sie übersteht.


Es war sehr heiß, und das über einen ungewöhnlich langen Zeitraum. Kein Lüftchen wollte sich regen, und selbst die Farben erblassten unter dem unbarmherzigen Licht. In Pythagorion stieg das Thermometer auf bullige 45 Grad, während es hier im waldigen Nordwesten noch knapp unter der 40-Grad-Marke blieb.

Der Alltag wurde heruntergefahren. Die Optionen waren überschaubar. Ans Meer flüchten oder in kühlen Räumen verharren. Man stand möglichst vor der Sonne auf, erledigte etwas Haushalt, kaufte ein. Vor allem Wasser und noch einmal einen Sixpack Wasser. Leider roch und schmeckte das Leitungswasser nach Schwimmbad. Vorsorglich hatte man das köstliche Quellwasser auf Kastania mit Chlor versetzt. Auch der Wasserdruck schwächelte. Es hatte im Winter viel zu wenig geregnet, und das knappe Grundwasser musste vielen Verbrauchern zugeteilt werden. Ein Lautsprecherwagen der Gemeinde rumpelte durch die heißen Gassen. Eine Stimme vom Band forderte dringend zum Wassersparen auf. Autowaschen und ähnliche Tätigkeiten waren unter Strafe verboten. Der Lautsprecher auf dem Wagen knackte, und das leiernde Band begann von vorne.

An Arbeit, vor allem an körperliche, war bei diesen extremen Temperaturen kaum zu denken. Eigentlich. In meinem letzten Blogbeitrag hatte ich mich über die rätselhafte Umgestaltung unserer Platia in Paleo Karlovasi ausgelassen. Angeblich beabsichtigte ein reicher Amerikaner, sich eine Straße zu seinem Anwesen bauen zu lassen. Glücklicherweise waren es nur Gerüchte. Tratsch und Klatsch. Die Gemeinde West-Samos hatte einen Subunternehmer mit dem endgültigen Umbau des heruntergekommenen Platzes beauftragt. Und der wurde ausgerechnet während der großen Hitze umgesetzt. Die fleißigen Jungs erneuerten die marode KanaMilation, verlegten und verfugten ein robustes Natursteinmosaik. Und das vor allem in den frühen Morgenstunden und abends unter einem improvisierten Flutlicht mit Bauleuchten. Aus der unmittelbaren Nachbarschaft wurden sie dabei mit saftig roten Melonenstücken und kalten Wasserflaschen versorgt.

Normalerweise dauerte mein Strandaufenthalt keine Viertelstunde. Und das vorzugsweise am frühen Morgen. Aber die große Hitze zwang und zwingt mich, mein Badeverhalten zu ändern. Erfreulicherweise kenne ich einen wilden Strand unterhalb einer aufgegebenen Außendisco. Nur an einigen wenigen Stellen kann man bequem in das türkisblaue Wasser steigen. Dafür bietet eine alte und mächtige Tamariske reichlich Schatten. Dort verharre ich auf meinem kleinen Campingklappstuhl und lasse die Hitze große Hitze sein. Natürlich bin ich nicht allein. Aber da der Zugang zum Strand sehr versteckt und der Abstieg recht mühsam ist, bleibt die Anzahl der Badegäste überschaubar. Man kennt, schätzt und grüßt sich. 


Sonntags kann es schon etwas voller werden. Und es ist erstaunlich, was meine griechischen Mitbürger alles den rumpeligen Pfad hinunter schleppen. Ein roter Rollkoffer voller Plastikkram für die vielen Kinder, Flossen, Schnorchel, Neoprenanzüge und Harpunen für die Väter. Die Frauen schleppen Taschen mit Essen. Pita, Sandwitches, rote und grüne Plastikschalen mit Tomaten, Gurken, Tsatsiki und dutzenden von vorgebratenen Spießen. Zwei junge Männer wuchten Kühlkisten mit Getränken heran. Ganz zum Schluss kommt eine Oma am Stock herangewackelt. Ein mächtiger Strohhut beschattet eine stämmige Gestalt im dunkelblauen Blümchenkleid. Sofort wird ein bequemer Klappstuhl direkt neben meinen platziert, in dem das Omchen schnaufend versinkt. Als sie wieder zu Atem kommt, beginnt sie sofort, das Geschehen mit dem Stock zu dirigieren. "Die Taschen mit dem Essen aus der Sonne. Die Tüte mit den Pampers ganz nach hinten." Sie zeigt mit dem Stock hinter sich in das Dickicht der Tamariske. "Eleni, bring mir die Bestecke und Servietten." Sie faltet ein Plastikmesser und eine Gabel in eine quietschgelbe Papierserviette mit roten Herzchen und überreicht mir das Ensemble. "Wenn dir das Essen nicht schmeckt, beschwere dich bei meinen Töchtern." Mit weit aufgerissenen Augen blickt sie demonstrativ in Richtung der drei vollschlanken Grazien, die gerade die Ärmchen der Kleinkinder mit Schwimmflügeln bestücken. Die mittlere, mit dem froschgrünen Badeanzug, kenne ich. Sie ist die freundliche Kassiererin im Supermarkt an der Hafenstraße. Willkommen in der Familie.

Erfahrungsgemäß können wir Menschen immer wiederkehrende störende Geräusche problemlos ausblenden. Brummende Klimaanlagen, zischende Espressomaschinen und sogar das ohrenbetäubende Zirpen der Zikaden. Aber wenn plötzlich neue Geräusche an die Oberfläche unserer Wahrnehmung vordringen, haben sie unsere volle Aufmerksamkeit. So wie das befremdliche Hundegebell - hell, panisch und ohne Unterlass. Es hörte tatsächlich nicht auf, nicht nach Stunden, nicht nach Tagen und bis heute nicht. Dem Schall nach zu urteilen, musste das arme Wesen irgendwo am Kamm des uns gegenüberliegenden Hügels angekettet sein. Unser Dorf und die dicht bewachsene Bergflanke trennt eine tiefe, unzugängliche Schlucht. Schakal-Land.

Wir fragten herum. Niemand wusste etwas. Alle hörten das jämmerliche Dauergekläffe. Zu dem fraglichen Gelände kommt man nur über krumme Wege, die von der Straße nach Lekka abgehen. Wer sollte dort einen Hund anbinden und was sollte er dort bewachen? Allgemeines Rätselraten, und das klagende Gebell hörte nicht auf. Und dann begann das große Kopfkino. Nach der Klangfarbe zu urteilen, musste es noch ein junges Tier sein. Was, wenn es als Welpe mit Liebe überschüttet worden war und nun, da es nicht mehr so niedlich war und vielleicht etwas aufmüpfig wurde, auf diese grausame Weise im Dickicht entsorgt wurde? Aber da das Gebelle auch nach einer Woche unermüdlich weiterging, war klar, dass das Tier mit Wasser und Fressen versorgt werden musste. Nach zwei Wochen klärte sich der Fall. Zufällig. Während der großen Hitze konnte man nur früh morgens oder am späten Abend kleinere Spaziergänge unternehmen. Ein Gang führte uns von unserem Haus in die erhoffte Kühle der bewaldeten Schlucht, auf dessen Grund zwei Familien aus dem Dorf landwirtschaftliche Parzellen mit Gemüse, Hühnern und ein paar Ziegen unterhalten. Von dort unten kam das herzzerreißende Bellen. Der Schall hatte getrogen.

Natürlich stellten wir die beiden Familien zur Rede. Eine hatte sich vor ein paar Wochen eine junge Setterhündin namens Mila zugelegt. Sie sei für die Jagd bestimmt, wie uns der freundliche Sohn stolz verkündete. Wir fragten, ob er wisse, dass man nach dem neuen griechischen Tierschutzgesetz Hunde nur noch zwei Stunden am Tag angeketten dürfe. Der Hund sei gar nicht angebunden, versicherte er, sondern in einem Κυνοκομείο, einem Zwinger, untergebracht. Das sei ja erlaubt. Stimmt. Leider.

Seit 2021 gibt es das neue griechische Tierschutzgesetz 4830/2021 - hier in deutscher Übersetzung. Es ist ein sehr ambitioniertes Gesetz, das konsequent auf das Tierwohl ausgerichtet ist. Darin gibt es umfangreiche Regelungen zur Tierzucht und Tierhaltung sowie zur zentralen Registrierung vor allem von Hunden. Die Halter werden verpflichtet, ihr Haustier nach dem ersten Lebensjahr kastrieren bzw. sterilisieren zu lassen. Bei Unterlassung droht den Tierhaltern eine Strafe von 1.000 Euro, die sich noch drastisch erhöhen kann. Das Gesetz hat dabei vor allem die desolate Lage der Streuner auf den griechischen Straßen im Auge. Man hofft, mit der Registrierung und der Kastration bzw. Sterilisierung auch das Problem mit der unkontrollierten Haustierhaltung in den Griff zu bekommen. Hofft man. Da sind noch dicke Bretter zu bohren.

Das Schicksal der kleinen Mila ist wahrscheinlich leider schon jetzt besiegelt. Der Vater des jungen Mannes wird versuchen, die Hündin bei der Jagd einzusetzen. Er hatte ja schließlich einen ausgewiesenen Jagdhund gekauft, der das per Rasse können muss. Kann das arme Tier aber nicht. Es bräuchte zunächst ein liebevolles und belastbares Vertrauensverhältnis zwischen Herr und Hund und darauf aufbauend ein langwieriges Lern- und Trainingsprogramm zwischen Jäger und Jagdhund. Der Supergau für die arme Mila ist leider vorprogrammiert. Was wird ihr Besitzer in Macho-Tarnfleck und mit schweren Jagdflinten bewaffnet mit ihr anstellen, wenn sie kläglich versagt - versagen muss?

In griechischen Dörfern wird zu Ehren des jeweiligen Schutzheiligen meist an dessen Namenstag ein aufwändiges Fest gefeiert, das Panigiri. In einem älteren Blogpost hatte ich bereits über diese Veranstaltung berichtet. Traditionell feiert unser Dorf am 27. August, am Ehrentag des Heiligen Fanourios. Er ist ein durchaus praktischer Schutzpatron. Man betet zu ihm, wenn man etwas verloren hat und es partout nicht wiederfindet. An seinem Feiertag backen die Frauen im Dorf einen leckeren Rosinenkuchen, die Fanouropita. Die gesegneten Küchlein werden nach der Liturgie mit einem Segenswunsch verteilt. Unsere Nachbarin Maria zur Rechten bringt uns an diesem Tag immer ein in Alufolie verpacktes Stück mit. 
Dieses Jahr waren alle überrascht, dass der für die Ausrichtung des Panigiri zuständige Kulturverein das Fest auf den 15. Juli vorverlegte. An diesem Tag gibt es laut dem orthodoxen Kirchenkalender keinen Heiligen zu feiern, zu dessen Ehren eine unserer 14 Kirchen und Kapellen geweiht ist. Die Verantwortlichen im Kulturverein argumentierten praktisch. Im August sei die Panigiri-Saison schon durch, und die Menschen wären vom vielen Feiern müde. Zudem sei dann die Weinlese im vollen Gange. Man wolle dieses Jahr am 15. Juli einen besseren Schnitt machen als letztes Jahr. Es geht um die Kohle. Um den Profit, den der Verein einmal im Jahr einfahren kann. Einer meiner Nachbarn ist aktives Mitglied und hat mir das Wirtschaftsmodell Panigiri bei einem Schwätzchen erklärt. Der Eintritt zur Veranstaltung beträgt 20 Euro. Dafür bekommt der Gast ein Essen und Wasser und Wein bis zum Abwinken. Und natürlich das Wichtigste, die Musik. Anscheinend bemerkt er, wie ich im Kopf die Zahlen zu überschlagen beginne. Mit bedächtigem Kopfschütteln signalisiert er mir, innezuhalten, um mir grinsend klarzumachen, dass der nur einen geringen Teil des eigentlichen Umsatzes aus mache. Die Souvlakis, die Salate und die Beilagen produzieren die Frauen des Vereins. Den Wein bekomme man zu einem absoluten Vorzugspreis von der hiesigen Genossenschaft. Sein Grinsen wird breiter. Die Softdrinks und vor allem die Spirituosen machen den größten Teil des Umsatzes aus. Letztes Jahr gingen allein fast 100 Flaschen Whisky über den Vereinstresen. Die Flasche für 75 Euro. Dazu gibt es immerhin ein paar Nüsse. Wie teuer wohl die Musik zu Buche schlägt, möchte ich wissen. "Nichts, wir sind sogar am Umsatz der Band beteiligt." Ein großes Fragezeichen scheint über meinem Kopf zu schweben. Mir wäre doch letztes Jahr sicherlich aufgefallen, dass im späteren Verlauf der Veranstaltung unterschiedliche Sänger von dem Orchester begleitet wurden. Und wie ich mich erinnere, hatten etliche grau melierte Herren in den frühen Morgenstunden nacheinander die Bühne erklommen und unter dem Beifall ihrer meist weiblichen Fans das Mikrofon erobert. Allein fünf dieser verschwitzten Troubadoure hatten meinen Lieblingssong "Τρελή κι αδέσποτη" von Nikos Papasoglou in ihrem Repertoire. "Verrückt und wild, nimm all meine Liebe, so will ich dich, und so bist du wirklich. Komm wie ein Traum in mein leeres Bett. Komm hierher, in mein trauriges Herz", schmachteten sie schleppend in das einsetzende Morgengrauen.

War das also keine zufällige Gesangsdarbietung angetrunkener Herren im gehobenen Alter? Ich ernte vehementes Kopfschütteln. Es gebe sogar eine Liste mit den Vortragenden, den Musiktiteln und einem ungefähren Zeitfenster. Also müssen diese angegrauten Karaoke-Stars dafür zahlen? Der Nachbar nickt bedächtig. Und wie viel - so ungefähr? Das Grinsen wird wieder breit, und die Hände gehen ganz langsam nach oben.

Fotos: Walter Schoendorf - Samos 2022/2023

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