Kontojanis beach

Feiern wie die Feste fallen.

In den letzten Wochen war viel los. Bei ruhigem Spätsommerwetter erlebten wir drei Erdbeben, unser Dorffest, ein kleines Konzert und den ersten Besuch aus Deutschland.

Unsere Freunde blieben 14 Tage und fühlten sich sehr wohl und gut aufgehoben auf der Insel. Zwei Wochen, in denen sie viel unternahmen, sich ein Mountainbike und eine Vespa mieteten und damit über die Dörfer brausten. Jeden Tag Programm. Natürlich begleiteten wir sie zu unseren Lieblingstavernen und machten die eine oder andere Wanderung mit ihnen. Dabei kamen wir manchmal in einen kleinen Rollenkonflikt. Der durchgetaktete Urlaubsmodus war uns zwar noch wohl bekannt, ist uns aber auch einwenig fremd geworden. Durch die kleinteilige Vielfalt unseres griechischen Alltags hat sich unser Zeitgefühl etwas gedehnt und uns deutlich entschleunigt.

Am letzten Tag im August hat es auf Samos dreimal gerumpelt. Wir haben nur durch die Warn-App im Handy davon mitbekommen. Das Epizentrum der Beben mit den Stärken 4,7 5,2 und 4,5 auf der Richterskala lag zehn Kilometer südlich der Insel. Es gab auf ganz Samos keinerlei Schäden. Aber am Tag darauf kamen erste Anrufe und Mails von zu Hause, ob bei uns alles ok sei. Einige deutsche Tageszeitungen hatten über die Beben berichtet. "Menschen rennen panisch auf die Straße: Zwei Erdbeben erschüttern griechische Ferieninsel."

Wir leben in einer seismisch aktiven Zone. Das wissen wir. "Seit vielen Jahrzehnten planen und bauen wir alle Gebäude auf Samos nach den statischen Vorgaben der Erdbebensicherheit. Mittlerweile arbeiten wir mit Computermodellen, die die Auswirkungen eines Erdstoßes auf das Baumaterial, den Untergrund und die Statik der Gebäude berechnen und simulieren.", hatte uns unser Bauingenieur Manolis beim Umbau unseres Hauses versichert. 
Bei dem schweren Erdbeben vom 30. Oktober 2020 mit der extremen Magnitude von 7,0 ist kaum ein modernes Gebäude auf auf Samos zu Schaden gekommen. Nur ältere, meist unbewohnte Häuser (leider, auch einige Kirchen) wurden beschädigt und mussten teilweise abgerissen werden.
Bei unseren zufälligen Spaziertreffen hatte ich Papa Lex einmal gefragt, warum es Gott zugelassen hatte, dass beim letzten großen Beben von 2020 so viele Kirchen beschädigt wurden. Die Antwort des alten Popen kam prompt: „Vielleicht möchte er, dass wir ihm neue bauen!“ Er lächelte verschmitzt und trippelte mit einem Säckchen Ziegenfutter davon.

Die Kuppel der Κοίμησης της Θεοτόκου, der Bischofskirche von Karlovasi, die bei dem großen Erdbeben von 2020 eingestürzt war, wird gerade aufwendig restauriert.

 

Unser Dorffest (Πανηγύρι) wurde am 27. August auf dem großen Platz vor der alten Schule gefeiert. Das ist auch der Namenstag des Heiligen Fanourios. Ein seltsamer Heiliger dieser Φανούριος. Griechisch-orthodoxe Gläubige wenden sich an ihn, wenn sie etwas suchen, das sie verloren haben oder auf der Suche nach einem Ausweg aus einer schwierigen Situation sind. Am Morgen des 27. brachte uns der immer freundliche und hilfsbereite Janis aus dem Kirchenvorstand ein Tütchen mit Eiern und einen kleinen dunklen Kuchen, die Fanouropita. "Hilft nicht beim Suchen, schmeckt aber gut. Den hat meine Frau gebacken."

Die letzten beiden Jahre war das Dorffest wegen Corona ins Wasser gefallen. Veranstalter und Ausrichter ist der Πολιτιστικός Σύλλογος, der lokale Kulturverein. Ja, wir haben einen Kulturverein. Der Schwager von Maria zur Linken ist aktives Mitglied. Wir wurden gefragt, ob wir zu der Veranstaltung kommen möchten. Klar, wir sind dabei. Und an welchem Tisch und mit welcher Parea, mit welchem Freundeskreis? Maria zur Rechten sprang uns zur Seite und organisierte einen Nachbarschaftstisch.  

Am Donnerstagabend vor dem Fest rumpelten Pick-ups beladen mit weißen Plastikstühlen und Tischen mehrere Stunden lang durch unsere Gasse in Richtung Veranstaltungsort. Der Parkplatz vor der alten Schule wurde aufgelöst, was die schwierige Parksituation im Dorf zusätzlich verknappte - zumindest temporär. Am Freitag regnete es. Ein Segen. Im Laufe des Samstagnachmittags verpieselten sich die Wolken und die Sonne setzte sich durch. Die Beleuchtung wurde installiert und ein erster Soundcheck echote über das Dorf. „Ένα, ένα - με ακούς;“

Unsere Nachbarschafts-Parea hatte sich für 9 Uhr verabredet. Herausgeputzt und gut gelaunt nahmen wir die kleine Steigung zur alten Schule. Uns erwartete ein Klapptisch, dahinter zwei nette Mädels vom Kulturverein, die pro Nase 15 € kassierten. Als Gegenleistung gab es Musik, eine Portion Essen sowie Wein und Wasser bis zum Abwinken. 
Wir besetzten einen der Tische an der hinteren Schulhofsmauer. Zügig servierte man uns das gute Leitungswasser aus Kastania und den einfachen Weißwein von der Genossenschaft in großen Wasserflaschen - die zu diesem Zeitpunkt noch etwas gekühlt waren. Auf jedem Tisch lagen fotokopierte Preislisten für kostenpflichtige Getränke - Softdrinks, Bier und Spirituosen. Die Flasche Whisky war für 60€ im Angebot. Wir blieben bei Wasser und Wein aus Plastikbechern. Mittlerweile hatte Musik eingesetzt. Man klimperte instrumentelle Bouzouki-Melodien in Endlosschleife mit viel Echo und sehr laut. Die Gespräche am Tisch verstummten - das Essen wurde serviert. Jeder bekam einen Plastikteller mit drei Souflakispiesen und Kartoffeln aus dem Backofen. Beides lauwarm bis kalt. Dazu landeten weitere Plastikschalen und Schälchen mit einem vermatschten Bauernsalat und Zaziki auf dem Tisch. Das strohige Brot wurde immerhin in Papiertüten gereicht. Ein anderes Tütchen enthielt eine Serviette und sogar eine Gabel aus Holz.
Das Bouzouki-Geklimper waberte unermüdlich über den Platz, der sich allmählich füllte. Immer mehr Menschen strömten auf den Schulhof und suchten nach Sitz- oder Stehgelegenheiten. Unser Nachbartisch wurde von einem Rudel junger Männer übernommen. Sie bestellten gleich eine Flasche Whisky. Dazu servierte man ihnen eine Plastikschale mit leckeren Nüssen. Die hätten wir auch gerne gehabt!  
Plötzlich verstummte das Instrumental-Gedudel und wurde vom Brummen und Knacken in den Lautsprechern abgelöst. Mikrofone wurden eingeklinkt und die Rückkoppelungen jaulten kurz auf. Und dann ging es los.
Das übersteuerte Organ eines mittelalten Sängers mit Halbglatze jaulte in ein Mikrofon. Die Band unterstützte die schwülstigen Tremolos der Herz-Schmerz-Melodien mit aufpeitschendem Rhythmus und voll aufgedrehten Verstärkern, um die Menge zum Reigentanz zu ermuntern. Hoppa, Hoppa, Hoppa …
Eine Unterhaltung war nun gänzlich unmöglich. Wir verständigten uns am Nachbarschaftstisch notgedrungen mit hilflosen Handzeichen. Noch vor Mitternacht ergriff unsere kleine Gemeinschaft die Flucht nach Hause, während immer neue Gäste zur Veranstaltung strömten. Die übersteuerten Melodien mit der ewig gleichen Tonlage und Rhythmus beschallten uns und das ganze Dorf noch bis zum Morgengrauen.  

Es geht auch anders. Nur 10 Tage später und 10 Meter tiefer veranstaltete das Akamatra, unsere neue Dorftaverne ein kleines Konzert. Ein Bouzoukispieler und ein Gitarrist spielten und sangen unverstärkt Laïkó. Das ist die populäre Volksmusik der 1950er-Jahre, die den Rembetiko ablöste. Sänger wie Stelios Kazantzidis versuchten mit Liedern von Tsitsanis, die Bouzoukimusik salonfähig zu machen.


Jeder Stuhl und jeder Tisch auf der kleinen Platia in Paleo Karlovasi war an diesem Abend besetzt. Man wartete geduldig, bis die beiden Musikanten gegessen und etwas getrunken hatten. Zum Einstimmen startete das Duo mit lateinamerikanischen Rhythmen wie Mambo und Rumba von Manolis Chiotis und ernteten viel Beifall. Aber als die beiden Musiker populären Stücke von Manolis Angelopoulos und Stelios Kazantzidis spielten, gab es kein Halten mehr. Alle, ob alt oder jung, sangen aus Leibeskräften mit. Schon nach wenigen Minuten begann die kleine Platia in einem Gefühl von musischer Gemeinsamkeit zu schweben. Jedes Mal wenn die Musiker zu einem neuen Lied ansetzten, sangen alle sofort mit. Bis zum Ende. Alle Strophen. Das ging den ganzen Abend so weiter und eine gelöste euphorische Stimmung legte sich über den Platz. Es ist beeindruckend, wie viele Lieder mit allen Strophen jede Griechin und jeder Grieche im Kopf hat und auch melodiesicher wiedergeben kann. Und das sind keine einfachen Schlager, diese Texte haben poetische Qualitäten. Zum Beispiel das sehr beliebte „Το τελευταίο βράδυ μου“ (Meine letzte Nacht) von Stelios Kazantzidis geht unter die Haut. 
*Im Anschluss an den Blogpost findet man den Original-Songtext und dem Versuch einer deutschen Übersetzung.

Leider gibt es in unserem Dorf auch unangenehme Menschen wie überall. Zumindest kennen wir einen, der die Gemeinschaft schikaniert. Er lebt in einem mehrstöckigen Haus an der großen Platia, an dem geparkt werden kann. Obgleich er sehr mobil ist und munter die Gassen und Treppen herauf und hinunter marschiert, ist er zu einem staatlich anerkannten Behindertenstatus gelangt. Man hat ihm einen Rollstuhl gestellt und zudem wurde für ihn auf der großen Platia in unmittelbarer Nähe seines Hauses ein Behindertenparkplatz eingerichtet. Dieser Parkraum mit den roten Markierungen und einem großen Hinweisschild ist immer leer. Er hat sein Auto, das berechtigte Fahrzeug, immer in einer angrenzenden Garage geparkt. Und wehe, ein anderes, unberechtigtes Fahrzeug wird auf seiner Parkfläche abgestellt. Letzte Woche hatte ein Touristenpärchen ihren Motorroller am Rande der roten Markierung abgestellt. Gut, dass sie ihren Dorfspaziergang zügig beendet hatten. Gerade als sie mit dem Roller nach unten fuhren, kam ihnen schon ein Polizeiauto entgegen. Der Alte erwartete die Polizisten heftig mit seinem Handy wedelnd. Er hatte anscheinend den Tatbestand fotografiert. Die Beamten stiegen nicht mal aus, sie interessierten sich anscheinend nicht für das Beweismaterial und machten sich mit genervten Mienen wieder auf den Weg nach unten.
Für diesen mißmutigen Dorfgenossen werden wir nächstes Jahr am 27. August eine Kerze zu Ehren des Heiligen Fanourios entzünden. Vielleicht hilft es ihm bei der Suche nach einer Lösung für sein schwieriges Parkplatzproblem. Und nächstes Jahr werden wir auch einen großen Bogen um unser Dorffest machen. Garantiert!


„Το τελευταίο βράδυ μου“ 
Stelios Kazantzidis

Το τελευταίο βράδυ μου
απόψε το περνάω
κι όσοι με πίκραναν πολύ
τώρα που φεύγω απ' τη ζωή
όλους τους συγχωρνάω

Όλα είναι ένα ψέμα
μια ανάσα μια πνοή
σαν λουλούδι κάποιο χέρι
θα μας κόψει μιαν αυγή

Εκεί που πάω δεν περνά
το δάκρυ και ο πόνος
τα βάσανα και οι καημοί
εδώ θα μείνουν στη ζωή
κι εγώ θα φύγω μόνος

Όλα είναι ένα ψέμα
μια ανάσα μια πνοή
σαν λουλούδι κάποιο χέρι
θα μας κόψει μιαν αυγή

Δυο πόρτες έχει η ζωή
άνοιξα μια και μπήκα
σεργιάνισα ένα πρωινό
κι ώσπου να 'ρθει το δειλινό
από την άλλη βγήκα

Όλα είναι ένα ψέμα
μια ανάσα μια πνοή
σαν λουλούδι κάποιο χέρι
θα μας κόψει μιαν αυγή


Meine letzte Nacht

Meine letzte Nacht
wird heute Nacht sein
und diejenigen, die mich verbittert haben
jetzt, da ich dieses Leben verlasse
vergebe ich ihnen allen

Alles ist eine Lüge
ein Atemzug, ein Seufzer
wie eine Blume, die mit der Hand 
eines morgens abgerissen wird

Dort, wohin ich gehe
bedeuten Tränen und Schmerz nichts
Leid und Kummer
werden hier im Leben bleiben
und ich werde allein gehen

Alles ist eine Lüge
ein Atemzug, ein Seufzer
wie eine Blume, die mit der Hand 
eines morgens abgerissen wird

Das Leben hat zwei Türen
Ich öffnete eine und trat ein
ging eines Morgens
und am Abend
war ich durch die andere gegangen

Alles ist eine Lüge
ein Atemzug, ein Seufzer
wie eine Blume, die mit der Hand 
eines morgens abgerissen wird

 

Fotos: Walter Schoendorf - Samos 2022

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