Die Tage waren blau und zu kurz.
Unser Auto duftet immer noch nach Orangen, Mandarinen, tiefgrünen Limetten und auf geplatzten Granatäpfeln. Zwei Körbe mit den Früchten von unseren Obstterrassen hatten wir gepflückt und mit auf die Reise genommen. Dazu kamen noch einige Liter Olivenöl unseres Nachbarn Irenäus und ein Kanister von Christos Tante aus Lekka. Grünes, flüssiges Gold für den grauen norddeutschen Winter.
Die ersten sieben Monate in unserem neuen Domizil in Paleo sind wie im Flug vergangen. Erst waren wir mit bohren, schleifen, streichen und vor allem auspacken beschäftigt. Handwerker kamen und gingen - und ließen uns so manches Mal etwas ratlos zurück. Unsere Wohnsituation geriet in den labilen Zustand einer ständigen Verschlimmbesserung. Sie war halb fertig mit der Tendenz zum improvisierten Lebensstil. Man empfahl uns "Υπομονή" - Geduld, das wird schon. Erst als uns Apostolis vom Hippys seinen Tischler aus Kontakaika vermittelte, wendete sich das Blatt. Agyris war unser Glücksfall. Mit seinen pfiffigen Ideen, seiner handwerklichen Qualität und vor allem seiner unbedingten Termintreue wurde aus dem halb, ein fast fertiger Zustand. Zumindest konnten wir Ende August unsere ersten Schlafgäste begrüßen, die unser Häuschen ganz prima fanden. Wen es interessiert, der findet hier einen Download zu einem PDF mit einigen Fotos. Agyris half uns auch vor unserer Rückreise das Objekt winterfest zu machen und verstärkte den Balkonzugang mit einer zusätzlichen und stabilen Außentür.
Die Katzen sind die eigentlichen Herrschaften im Dorf. Wir Menschen sind in ihren Augen allenfalls schwerfällige Mitbewohner, die sich in steinerne Gebilde zurückziehen und sich auch sonst höchst sonderbar verhalten. Weil wir so gut zu manipulieren sind, taugen wir immerhin zur indirekten und unmittelbaren Nahrungsbeschaffung. Wir sind die einfältigen Zweibeiner mit den großen Herzen. Immerhin können wir Dosen öffnen und Säcke schleppen. Und wenn es den Pelztieren nach Schmusen ist, interpretieren wir es als Dankbarkeit. Weit gefehlt. Unsere Zärtlichkeiten unterliegen meist nur einer temporären Duldung. Meist. Es gibt anscheinend auch Pelztiere, die auch zu einer bilateralen Zuneigung bereit sind. Eine dieser Persönlichkeiten durften wir kennenlernen. Wir nannten ihn Rudi. Der kleine Kater stammt aus dem Nachbarschaftswurf, den wir seit Längerem mit betreut haben. Irgendwann hatte sich Rudi dazu entschlossen, das Rudel zu wechseln und sich uns, den Zweibeinern, anzuschließen. Er richtete sich hinter einer Topfpflanze auf unseren Treppenstufen ein und folgte fortan und unerschütterlich dem neuen Rudel in einem selbst definierten Radius. Immer wieder haben wir Rudi zurück zu seinen Brüdern und Schwestern gebracht. Vergeblich. Schon nach kürzester Zeit hatte er wieder seinen Stammplatz vor unserer Haustür eingenommen. Leider. Denn Rudis Rudelwechsel folgte einen denkbar schlechtem Timing. Er konnte nicht wissen, dass seine neuen Gefährten das Territorium für längere Zeit verlassen und erst im Frühjahr zurückkommen würden. Viel Glück, kleiner Rudi* und vielleicht bis bald!
In unseren letzten Nächten waren auch immer unsere Freunde, die Schakale präsent. Das Paleo-Rudel verabschiedete sich mit seinem eindringlichen und fast melodischen Geheul. Wir freuen uns jetzt schon, sie nächstes Jahr wieder zu hören. In der wilden und unzugänglichen Schlucht unterhalb unseres Grundstückes sind sie gut vor den Pickup fahrenden Tarnfleck-Macho-Jägern geschützt.
Nach sieben Monaten fiel uns der zeitweilige Abschied aus Paleo sehr schwer, vor allem, weil sich nach hinten noch mal alles verdichtete. Viele Nachmittage und lange Abende verbrachten wir mit Freunden auf der Platia in Meseo, in Lekka und allen voran im Akamatra. Ja, wir kommen bald wieder - aber trotzdem. Auch der Abschied von den Nachbarn fiel uns nicht leicht. Aber wir stehen während des Winters via Telefon, Viber und Email in regelmäßigen Kontakt - vor allem mit einer lieben Nachbarin, die in unserem Haus nach dem Rechten sieht.
Eines dunklen Morgens starteten wir mit der "Myconos" von Karlovasi nach Piräus. Janis, der Mann von Maria zur Linken, verabschiedete uns mit einer festen Umarmung am Anleger. Er arbeitet im Hafen und ist für die Vertäuung der Schiffe zuständig. Er wird auch der Erste sein, der uns nächstes Jahr wieder begrüßen wird. Alles ist ein Kreis und das ist gut so.
Sonniges Spätherbstwetter begleitete uns durch Griechenland. Die Tage waren blau, aber zu kurz. Wir legten am Golf von Korinth bei Diakopto einen Entspannungsstopp ein, um tags darauf nach Igoumenitsa zu gondeln. Die Überfahrt nach Italien war ruhig und die Adria hüllte sich in eine diesige Leere. In Ancona erwartete uns ein ausgedehntes Tief, das uns mit sintflutartigen Schauern von Marken bis in die Po-Ebene begleitete. Da wir auf der Rückreise unsere Familie im Saarland besuchen wollten, fuhren wir über den Brenner und den Fernpass zu unserem nächsten Zwischenstopp: Hopferau im Ostallgäu - ein gut organisiertes Ferienidyll mit Kühen und Käse, den man in der dorfeigenen Sennerei auch erwerben konnte. Der letzte Teil unserer Rückreise wurde nun um eine weitere, käsige Duftnote bereichert.
Kaum richtig im trüben Norddeutschland angekommen, erreichte uns eine merkwürdige Nachricht aus Paleo. Die liebe Nachbarin, die unser Haus und unsere Blumen betreut, vermisste unseren Gartenschlauch am Wasserhahn an der Hauswand. Wir hatten ihn extra nicht abgeschraubt, damit sie die Kübelpflanzen in der Gasse bequemer gießen konnte. Nun waren die paar Meter Plastikschlauch verschwunden. Einfach so. Wir konnten uns keinen Reim drauf machen. Die Nachbarschaft aber schon. Nach ein paar Tagen tauchte das Stück Schlauch wieder auf. Eine Frau aus dem Unterdorf überreichte es hochnotpeinlich unserer hauspflegenden Nachbarin. Was war passiert? Es gibt in der entfernteren Verwandtschaft dieser Dame eine Person, die ein etwas schräges Verhältnis zu fremden Eigentum hat. Natürlich kennen auch wir diesen "Verwandten". Mal ist er ausgesprochen aufgeräumt und gesprächig, mal maulfaul bis abweisend. Dieser Kauz pflegt liebevoll und mit viel Hingabe einen ummauerten Garten im unteren Dorf. Seinen Garten, wie er immer betont. Er hätte ihn im Auftrag einer alten Dame immer schon betreut und die hätte ihm das Stück nun endgültig vermacht. Klang plausibel, zumindest für uns. Bis an einem schönen Sonntag im Mai zwei Fremde mit einem Dokument in Klarsichtfolie auftauchten, an dem Gartentor rüttelten und lautstark Einlass verlangten. Niemand erhörte ihre Forderungen und sie zogen unverrichteter Dinge wieder ab. Einige Wochen später tauchten sie wieder auf. Diesmal in Begleitung eines schweren Bolzenschneiders, mit dem sie sich gewaltsam Zugang in den Garten verschafften. Sie stiefelten eine viertel Stunde darin herum und zogen dann wieder ab. Kurze Zeit darauf erschien der eigenwillige "Verwandte" und verriegelte die offen stehende Gartentür mit einem neuen Schloss. Und die Moral von der Geschichte? Wir haben eine gute und verlässliche Nachbarschaft. Ein ummauerter Garten wird liebevoll weiter gepflegt und wir haben unser Stück Gartenschlauch zurück. Was will man mehr?
*Wie wir nun aus der Ferne erfahren haben, hat eine Katzenfreundin aus dem Dorf unseren Rudi und sein Rudel auf ein Gartengrundstück nach Ormos Karlovasi umgesiedelt.