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Mobil ohne eigenes Auto auf einer großen Insel?

Einer der trockensten und heißesten Sommer neigt sich seinem Ende entgegen. Meteorologen und Klimaforscher hatten es vorhergesagt. Dabei war es auf Samos und vor allem bei uns im Nordwesten noch verhältnismäßig erträglich. Bis Anfang September fiel zwar kein Tropfen Regen, aber es gab auch keine heftigen und zerstörerischen Unwetter. Die Weinlese war dank des beständigen und kühlenden Nordwinds erträglich und auch sehr erfolgreich. Und es gab bislang keine nennenswerten Waldbrände.

Für uns war es der "Sommer der kleinen Wege". Fünf Monate sind wir ohne eigenes Auto ausgekommen. Die Taxitarife hier in Karlovasi sind moderat. Eine Fahrt vom Taxistand an der großen Platia in Neo Karlovasi bis herauf nach Paleo kostet fünf bis sechs Euro. Die lokalen Supermärkte liefern ab einem Einkauf von 20 € frei Haus, und wenn man geduldig wartet, kann eine Person mitfahren. Von diesem tollen Service haben wir reichlich Gebrauch gemacht.

Im Frühjahr war unser fußläufiger Radius klimabedingt noch recht groß. Wir wanderten zum Baden nach Potami, zum Tavernenbesuch nach Lekka, und Anfang Mai feierten wir das Osterfest bei Freunden in Kontakaiika.

Danach hatten wir ohnehin wenig Zeit für ausgedehnte Touren. Mitte Mai erwarteten wir unsere ersten Besucher, und weitere Freunde und Familienmitglieder waren für Juni und Juli angekündigt. Außerdem hatten wir immer noch einen kleinen Winterschaden im Badezimmer. An einer Außenwand war wieder einmal die Farbe abgeplatzt. Ein erneutes Verputzen und Streichen machte wenig Sinn. Eine nachhaltigere und feuchtigkeitsbeständigere Lösung musste her. Nach Beratung mit Kostas, einem empfohlenen Handwerker aus unserem Dorf, entschieden wir uns, nach einer speziellen Behandlung des Untergrunds, die Wand zu fliesen.

Wir wussten, dass unser Bauingenieur und Freund Manolis noch einen kleinen Restbestand einer farblich und gestalterisch sehr reizvollen italienischen Fliese aus den 90er Jahren irgendwo liegen hatte. Nach kurzem Verhandeln war der Deal perfekt. Wir konnten uns die sechs Quadratmeter Fliesen bei ihm abholen. Nun fehlte wieder das Auto. Unser lieber Nachbar half bereitwillig aus, und wir "erfuhren", wie schmutzig, schwer und unhandlich lose Fliesen sein können, die jahrelang bei Wind und Wetter auf einer Baustelle lagerten. Zudem waren viele der Keramiken kaputt oder hatten erhebliche Macken, sodass wir auf nur vier Quadratmeter kamen. Für die nun fehlenden zwei Quadratmeter organisierte Kostas eine einfache, weiße Fliese aus Bulgarien.

Als die italienischen Fliesen endlich gewaschen waren und in der Sonne trockneten, stellte sich heraus, dass sie aus sieben unterschiedliche Muster bestanden – allerdings alle in denselben Farben, aber in unterschiedlicher Stückelung. Eine ästhetisch reizvolle Herausforderung. Zunächst sortierten wir die passenden Muster auf Stapeln, und wie immer im Leben war das langweiligste Design am häufigsten vertreten. Ist so. Auf unserem Fußboden breiteten wir einen Fliesenspiegel in der ungefähren Bemaßung der Wandflächen des Badezimmers aus und versuchten dabei, einen abwechslungsreichen Mustermix zu generieren. Immerhin hat jede Fliese vier Seiten, was die Variationsvielfalt deutlich erhöhte. Wir puzzelten herum, bis wir mit unserem Werk einigermaßen zufrieden waren.

Kostas, der Fliesenleger, machte sich am Putz zu schaffen und präparierte den Untergrund mit einem stinkenden roten Zeug. Anderntags wollte er loslegen. Tat er auch. Er mischte frischen Mörtel, befestigte eine Art Führungsleiste und schnappte sich die ersten Platten aus unserem Fliesenspiegel. Wir hatten ihm erklärt, wie wir uns das vorstellten. Er hatte genickt, sich wieder den erloschenen Zigarettenstummel angezündet und machte sich ans Werk. Nach ein paar Minuten wagten wir einen neugierigen Blick über seine Schultern. Überraschung. Kostas hatte die passenden Fliesen auf Anschluss gesetzt. Wir intervenierten heftig. Er kam ruhig aus dem Badezimmer, trank an seinem Kaffee und drehte sich die nächste Zigarette. Noch bevor er sie anzündete, zeigte er auf unser Werk auf dem Fußboden. "Αυτό είναι λάθος." – "Das ist alles falsch." Er nahm zwei Fliesen auf, drehte sie um und wies auf die kleinen schwarzen Dreiecke in der Mitte eines der vier Ränder. Er hielt die beiden Teile so, dass sich die Dreiecke auf der Fliesenrückseite gegenüberstanden. So müsse man sie verlegen. Wollten wir aber nicht. Er zog lange und bedächtig an seiner Selbstgedrehten und rang mit seiner Fliesenlegerehre. Er nickte und knurrte ein trockenes "Okay". Wir reichten ihm noch eine Weile jede Fliese und achteten darauf, dass ihm die kleinen Dreiecke nicht dazwischenfunkten. Nach der dritten Zigarette hatte er sich in sein Schicksal ergeben und eine wahrhaft meisterliche Leistung vollbracht. Wir waren sehr zufrieden und tranken mit Kostas noch ein oder zwei Ouzo auf seine Arbeit. Er rauchte und betrachtete aus dem Augenwinkel sein Werk. Er machte mit dem Glimmstängel eine weit ausholende Kreisbewegung und kommentierte: "Όλα λάθος - αλλά όχι κακό." – "Alles falsch, aber nicht schlecht." "Έτσι είναι?" – "Ist es nicht so?" "Έτσι είναι!" – "So ist es."

Nun konnte der Besuch kommen. Und er kam, und mit ihm eine motorisierte Annehmlichkeit in Gestalt von diversen Mietwagen, die unseren mobilen Radius zumindest zeitweise etwas erweiterten.

Nach unserem Besuch überfluteten die Athener die Insel. Es wurde heiß und voll auf Samos. Die Restaurants waren überfüllt, die Straßen verstopft und jede freie Ecke zugeparkt. Eines schönen Sommerabends blockierten sich die Autos auf der einzigen Straße nach Paleo so, dass es weder rauf noch runter ging. Als auch ständiges Hupen nicht mehr half, rief schließlich ein entnervter Autofahrer oder Anwohner die Polizei an. Die kam auch – aber erst am darauffolgenden Abend. Dafür in Mannschaftsstärke, und man hat jedem Auto, das am Straßenrand parkte, einen Strafzettel ausgestellt. Und das waren viele. Die meisten unschuldige Anwohner, die einer ungeregelten Parkraumbewirtschaftung zum Opfer gefallen waren. Anderntags stürmten aufgebrachte Paleoten das Rathaus in Neo Karlovasi, und der Verwaltung blieb nichts anderes übrig, als eine informelle Bürgeranhörung einzuberufen: Freitag, 19 Uhr, in der neuen Taverne auf der Auto-Platia in Paleo Karlovasi – sozusagen am Tatort. Wir hatten zwar weder Auto noch Knöllchen, wurden aber von Nachbarn und Freunden aufgefordert, uns zu beteiligen.

Bereits kurz vor dem Termin war unsere große Platia gut besucht, und immer mehr Nachbarn strömten herbei. Lange Zeit passierte nichts. Freundliches Gemurmel, ausführliche Begrüßungen – es gab viel zu erzählen. Weit nach acht rauschte ein kräftiger Mittfünfziger auf einem tiefergelegten Roller herauf und steuerte die Versammlung an. Sein Erscheinen löste sofort Bewegung aus. Eine Traube von Dörflern umringte den Neuankömmling. Wie man uns zugleich zuflüsterte - einer der stellvertretenden Bürgermeister. Ein stattlicher Typ. Nachdem er etliche Hände geschüttelt und immer wieder freundlich in die Runde geschaut hatte, begann er stehend mit kräftiger Stimme zu reden. Natürlich lobte er zunächst umfänglich und ausufernd die Erfolge des neuen Gemeinderates, der nun knapp ein Jahr im Amt ist. Ganz Politiker. Als er bemerkte, dass die Aufmerksamkeitsspanne seiner Zuhörer nachließ, kam er zur Kernbotschaft. Der Gemeinderat hätte soeben beschlossen, alle Strafanzeigen, die vor ein paar Tagen wegen widerrechtlichen Parkens hier oben ausgestellt wurden, mit sofortiger Wirkung einzustellen. Jetzt hatte er sein Publikum. Das wollte man hören. 

Der stellvertretende Bürgermeister setzte sich zufrieden und übergab die Moderation an zwei junge Mitarbeiter. Die Fragestunde zum Thema Mobilität und Parken war eröffnet, die Bürgerinnen und Bürger von Paleo hatten das Wort. Und die ließen sich nicht lange bitten. Ein älterer, schmaler Herr stand bereits und räusperte sich effektvoll. "Das sei Adonis, der Amerikaner", raunte mir ein Tischnachbar zu. "Der mit der Straße?" "Genau der." Und schon reklamierte der Amerikaner, der immer zwei Sommermonate im Jahr in seiner alten Heimat verbringt, stimmgewaltig seinen amerikanischen Traum von der Straße durch die Schlucht zu seinem Anwesen oben gegenüber dem alten Waschhaus. Die Anwesenden schauten angestrengt in ihre Gläser und Handys oder in den nachtblauen Sommerhimmel, an dem gerade die ersten Sternlein zu funkeln begannen. Adonis hatte seinen Monolog beendet und setzte sich unsicher um sich schauend. 

Schließlich unterbrach einer der Gemeindemitarbeiter das beredte Schweigen, indem er von dem erfolgreichen Projekt der Schluchtreinigung und dem neuen Abenteuerwanderweg für Touristen berichtete. "Das sei ja schön und gut", sagte jemand an einem hinteren Tisch, "aber man könne in der Schlucht schlecht parken." Gelächter. Der zweite Mitarbeiter des Bürgermeisters intervenierte mit einem hochgehaltenen Blatt, auf dem er auf noch zu schaffende Parkmöglichkeiten in den ausladenden Kurven der Straße nach Paleo aufmerksam machen wollte. "Oh – drei neue Parkplätze auf halber Strecke." Wieder Gelächter, Zwischenrufe und Kopfschütteln. Unser dicker, dorfeigener Radio- und Fernsehtechniker erhob sein gewaltiges Organ. Alle Augen auf ihn gerichtet, brauchte er sich nicht einmal zu erheben: Das Dorf sei für Fußgänger mit Mulis oder Eseln gemacht worden. Aber heute hätte man Autos und Mopeds. Darum sollte sich die Gemeinde gefälligst kümmern. Geraune, Gekichere. Der stellvertretende Bürgermeister verdrehte die Augen und verkniff sich einen Kommentar. Es folgten weitere, mehr oder weniger sachdienliche Ein- oder Ausfälle, und die Veranstaltung begann sich in allgemeiner Ratlosigkeit aufzulösen.

Unser dicker und immer muffiger Fernsehtechniker hatte Recht. Was er als Manko beschrieb, erlebten wir als Qualität. Unser Dorf ist für Fußgänger mit oder ohne Mulis angelegt, und alle alten Wege der umliegenden Dörfer führen durch unsere Gassen hinunter nach Karlovasi. Auch ohne Auto kann man bestens die gut gepflegten Treppenwege zum Hafen und nach Meseo und Neo Karlovasi begehen. Der Dicke nutzt sie natürlich nicht. Er scheint wie ein mythischer Zentaur mit seinem gelben Moped verwachsen zu sein. Und die haben, zumindest auf den Abbildungen, auch immer grimmig geschaut.

Bereits Ende Juni hatte sich die Temperatur auf einem hohen Niveau eingependelt, und es blieb über lange, lange Wochen heiß. Kein Wetterbericht versprach Abkühlung, sondern immer neue Hitzerekorde. Wir mussten unsere fußläufigen Routen auf das Einkaufen in Neo und Meseo Karlovasi und das Baden in Limani beschränken. Unser Standort in Paleo hatte sich zwar als sehr praktisch erwiesen, doch die andauernde Hitzeperiode schränkte unsere Mobilität stark ein. Wir fühlten uns irgendwie wie in einer selbstgewählten Quarantäne. Die schönsten Strände und Dörfer rundherum, und wir kamen nicht hin.

Ein Auto musste her. Mittlerweile hatten wir unseren geliebten Vollhybriden in Deutschland verkauft. Er war ein tolles Reisegefährt, aber zu lang und zu breit für die engen Dorfstraßen auf Samos. Ein Bekannter empfahl, einen Gebrauchtwagen unter 2000 Euro zu kaufen. Das reiche für Samos. Wenn er dann irgendwann und irgendwo kaputt liegen bliebe, könne man mit dem Taxi nach Hause fahren. Das entsprach aber nicht gerade unseren Vorstellungen von nachhaltiger Mobilität. Überhaupt erwies sich der Gebrauchtwagenmarkt als sehr undurchsichtig und hoffnungslos überteuert. Fahrzeuge mit Hybridantrieb waren Mangelware. Da Neuwagen deutlich günstiger angeboten werden als in Deutschland, war die Richtung vorgezeichnet. Wir schauten ins Internet und fanden ziemlich schnell ein etwas kleineres und kompakteres Modell unseres Vorgängers. Den Händler kannten wir auch, er hatte letztes Jahr unseren Alten repariert. Wir statteten Georgios einen Besuch ab.

Der freute sich auch. Aber als wir unseren Wunsch vortrugen, wurde sein rundes Gesicht fast ein bisschen lang. Momentan gab es kein Exemplar unseres Wunschmodells auf dem griechischen Markt. Wenn man jetzt bestelle, klappe es vielleicht bis Weihnachten – aber eher Anfang nächsten Jahres. "Ostern habt ihr ihn! Ganz bestimmt!" Σίγουρα. Aha. Georgios wollte noch wissen, ob wir alle Papiere zusammen hätten, vor allem die "Άδεια διαμονής". Das ist die permanente Aufenthaltsgenehmigung, ohne die nichts geht – die bekomme man bei der Polizei.

Hatten wir nicht. Also auf zur Polizeistation in der Γοργύρας Straße neben der Nationalbank. Ein breitschultriger Streifenpolizist versperrte den Eingang. Das Zauberwort hieß "Άδεια διαμονής". Er trat zur Seite und wies mit dem Kopf auf eine Treppe nach oben. Eine freundliche Mitarbeiterin gab gerne Auskunft. Sie benötige drei Passfotos, eine griechische Mobilnummer, einen gültigen Personalausweis, einen Nachweis einer Krankenversicherung, einen Nachweis über ein eigenes Konto bei einer griechischen Bank sowie aktuelle Kontoauszüge über mindestens einen Monat, und das Formular "E9", die jährliche Einkommensteuererklärung. Ok, wenn es weiter nichts ist. Nach einer Woche hatten wir alles zusammen, und der uniformierte Türsteher ließ uns bereitwillig durch. Nachdem etliche Formulare ausgefüllt und 17 Unterschriften geleistet waren, wurde alles in eine Mappe gepackt und verschwand in einer Schublade. Auf die Frage, wann die Genehmigung fertig sei, hieß es: ein paar Wochen. Sie würden anrufen. Es dauerte und dauerte. Niemand rief an. Man muss persönlich vorbeigehen und etwas nerven. Irgendwann lag die Aufenthaltsgenehmigung in Form eines Ausweises mit Foto und gestempelt in einer Schublade. Überraschung - es fielen keine Gebühren an. Immerhin.

In der Zwischenzeit hatten wir ein neues Auto bestellt. Eine andere Marke, aber mit Hybridantrieb und lieferbar. In 10 bis 14 Tagen sollte es da sein, meinte Kostas, der Händler. Es wurden immerhin fast fünf Wochen. Schuld an der Verzögerung war die Hochsaison. Der Wagen musste von Athen nach Samos überführt werden, aber die BLUE STAR MYCONOS war schon seit Wochen ausgebucht. So etwas habe man noch nie erlebt. Unser griechisches Nummernschild und die Versicherungsunterlagen warteten derweil montage- und abholbereit im Autohaus.

An einem schönen Freitag war es dann endlich soweit. Kaum waren wir mit dem Neuen zur nächsten Tankstelle gefahren, hielt neben uns ein Nachbar aus Paleo. Noch mit der Hand an der Zapfpistole, erkannte er uns, stoppte sein Vorhaben, fingerte in seiner Hosentasche, öffnete unsere Fahrertür und warf ein paar Münzen in den Fußraum. "Καλό ριζικό". Kalo Risiko. Viel Glück und gute Fahrt.