Die mobile Gegenbewegung
Am Anfang dachte ich, der Kerl hat was an der Waffel. Immer um die Mittagszeit raste er mit seinem Moped durchs Dorf und hupte wie ein Bekloppter. Verspiegelte Sonnenbrille, schwarze Jacke und dieses coole Grinsen mit der schiefen Kippe im Gesicht.
Natürlich waren mir die paar Plastiktüten mit Backware links und rechst am Lenker aufgefallen. Aber das dies unser lokaler Brotdealer sein sollte, wäre mir im Traum nicht eingefallen - bis mir eines Morgens meine Nachbarin Maria ein Euro und zwanzig Cent in die Hand drückte und mich bat, bei dem hupenden Elvis-Verschnitt ein μαύρο ψωμί, ein dunkles Brot einzukaufen. Unser Elvis heißt übrigens Adonis* und ist extrem nett. Er hupt jetzt auch jeden Mittag vor unserer Tür. Er kennt unsere Namen und reserviert schon mal das της γιαγιάδες (das Großmütterliche), das mit der leckeren Kruste. Und wenn wir nicht zu Hause sind, hängen wir eine Tüte mit dem abgezählten Kleingeld an die Tür.
Dabei wohnen wir direkt gegenüber einer Bäckerei. Die ist allerdings schon seit Jahren geschlossen. Leider. Schon vor der großen Wirtschaftskrise schrumpfte die lokale Infrastruktur in den samiotischen Dörfern. Nicht nur die Bäcker verschwanden, auch die Tante-Emma-Läden, die Post, die Bushaltestellen und vor allem viele Kafenien - die beschaulichen Sozialstationen des dörflichen Alltags. Sie sind der Automobilisierung, den großen Supermärkten und den Pizza-Bringdiensten zum Opfer gefallen.
Es wäre traurig, wäre da nicht die mobile Gegenbewegung, die die Dinge, die man zum Leben braucht, wieder in die Dörfer bringt. Wie Adonis, der nicht nur Brote an seinem Lenker hängen hat. Er hört sich geduldig die Sorgen der älteren Dörfler an und organisiert auch schon mal eine Medikamentenbestellung. Hinter der verspiegelten Sonnenbrille und dem coolen Grinsen verbirgt sich ein Mensch mit einem großen Herzen.
Mehrmals die Woche hupen sich Gemüsehändler durch die engen Gassen des Ober- und Unterdorfes, und wenn quäkende Musik im Spiel ist, ist das der Fischhändler. Dabei könnte er auf das fröhliche Gedudel verzichten, man riecht sein holperndes Gefährt von Weitem.
Es gibt auch saisonale mobile Angebote. Im Herbst verkaufen Bauern, Esskastanien und Μαανιτάρια, große fleischige Pilze. Im Hochsommer ist der Melonenwagen mit den grüngesprenkelten Wasserkugeln ein Einkaufsmagnet. Und jetzt, im späten Frühjahr, durchstreifen die Orangenbauern aus Mili mit ihren süßen Früchten die Dörfer.
*Unser Moped-Brotlieferant heißt mit vollständigen Namen Adonis Servos. Das Brot, das links und rechts in Plastiktüten am Lenker baumelt, hat er selbst gebacken. Er betreibt zusammen mit seiner Frau eine Bäckerei in der Nähe der Platia von Meseo Karlovasi.