Ein deutsches Fernsehteam auf Samos
Ein paar Tage vor unserer Rückreise nach Samos ploppte eine merkwürdige Mail in meinem Postfach auf. Ich vermutete Spam und ignorierte sie. In einer ruhigen Minute schaute ich mir diese Mail doch etwas genauer an – und staunte: Eine „nonfictionplanet TV GmbH“ plante einen Film über Samos. Bei der Vorrecherche sei man auf unseren Samos.Blog gestoßen und habe darin interessante Geschichten entdeckt. Über eine Zusammenarbeit würde man sich freuen.
Die Schwerpunkte der 45-minütigen Dokumentation für MareTV sollten österliche Aktivitäten auf Samos sowie Menschen sein, die eine besondere Verbindung zum Meer haben. Unsere Aufgabe wäre es, passende Themen zu recherchieren und zu entwickeln – und das Team während der dreiwöchigen Drehzeit vor Ort zu unterstützen.
Ich bekundete per Mail mein Interesse – es geht ja um Samos. Kurz darauf wurde ich zurückgerufen. Schon nach wenigen Minuten war ich mit meinem Ansprechpartner auf einer Wellenlänge. Das könnte etwas werden. Wir besprachen auch gleich die Details: Er käme zur Vorbereitung am 2. April – und das Kamera- und Ton-Team ein paar Tage später. Also in drei Wochen. Und wir hatten noch nicht einmal das Auto gepackt.
Am Samstag, den 8. März, starteten wir bei vorfrühlingshaftem Wetter die Rückreise. Es sollte eine sonnige und entspannte Fahrt werden und wie geplant liefen wir in den frühen Morgenstunden des 15. März bei milden Temperaturen in den Hafen von Karlovasi ein.
Unser Haus hatte den regenreichen Winter dank nachbarschaftlicher Pflege und dem Dauereinsatz unseres Luftentfeuchters gut überstanden. Nach kleineren Spachtel- und Streichaktionen war alles im Lack, und wir machten uns ans Fensterputzen. Doch gleich zwei Nachbarinnen eilten herbei und stoppten unser Treiben: Eine Schlechtwetterfront aus dem Süden nähere sich und würde alles mit graugelbem Saharastaub überziehen.
Das kam mir gerade recht, denn ich musste noch etwas erledigen, das keinen Aufschub duldete. Seit Mitte Februar schleppte ich ein dickes Bündel Geldscheine in einem abgegriffenen Briefkuvert mit mir herum, das ich dringend übergeben musste.
An einem trüben und nasskalten Spätnachmittag im Februar war ich in meiner Stammkneipe in Deutschland verabredet. In dem Traditionsladen ging es bereits hoch her, und das Feierabendbier floss in Strömen. Irgendwann nahm mich der Wirt beiseite. Wir kennen uns seit Jahrzehnten und pflegen ein freundschaftliches Verhältnis. Er hatte ein Anliegen – das merkte ich sofort.
Er wollte wissen, wann wir wieder nach Griechenland aufbrechen würden. Das konnte ich ihm genau sagen – wir hatten gerade die Fähren gebucht. Er nickte zufrieden und fragte, ob es auf unserer Insel vertrauenswürdige Leute gäbe, die sich um Streuner kümmern. Jedes Jahr, erzählte er, überweise er größere Beträge an verschiedene Tierschutzorganisationen – aber ob das Geld tatsächlich bei den Tieren ankomme, wisse man nicht. Es wäre doch schön, wenn man wüsste, wie und wo die Spende eingesetzt wird. „Kennst du jemanden bei dir da unten?“
Und ob! Mit Melanie und Elias von „Die vergessenen Samos-Hunde e.V.“ hatte ich gute Erfahrungen gemacht. Noch vor wenigen Wochen hatte ich meine gesamte Verwandtschaft anlässlich meines runden Geburtstags genötigt, statt gut gemeinter Geschenke einen kleinen Betrag an diesen Verein zu überweisen. Und das hatte wunderbar funktioniert.
Ich schlug meinem Freund vor, zeitnah Kontakt zu Melanie aufzunehmen, um herauszufinden, wofür sie eine größere Spende aktuell am dringendsten benötigten. „Genau so etwas habe ich mir vorgestellt!“ sagte er zufrieden.
Melanie und ihre Mitstreiter waren begeistert und schlugen ein lang gehegtes Projekt vor: Bluttests für ihre Streuner. Erst mithilfe dieser Tests kann der Gesundheitszustand jedes einzelnen Tieres festgestellt und eine gezielte medizinische Behandlung eingeleitet werden. Auch für die spätere Vermittlung der Hunde ist dieser Status äußerst hilfreich.
Diese Bluttests schlug ich meinem Freund, dem Wirt, beim nächsten Treffen vor. Ich hatte sogar einen Zettel mit der Website sowie den Kontakt- und Kontodaten der kleinen Organisation aus Karlovasi vorbereitet. „Perfekt!“, kommentierte der Wirt, verzog sich mit dem Zettel hinter den Tresen und hantierte dort eine Weile herum. Als er zurückkam, drückte er mir ein dickes Briefkuvert in die Hand, auf dessen verklebter Rückseite der frische Kneipenstempel prangte. „Den gibst du bitte den Leuten. Und es wäre schön, wenn du mir ein paar Fotos von der Aktion schicken könntest.“ Warum der Stempel, wollte ich wissen. Er habe den Betrag und den Umschlag fotografiert und die Summe im Ausgabenbuch notiert. Alles müsse ja seine Ordnung haben.
Das habe ich dann kurz nach unserer Ankunft auf Samos erledigt – und wenig später waren wir bei den Blutentnahmen aller von der Organisation betreuten Streuner durch die erfahrene Tierärztin Isidora Dimitriou und ihrem Team dabei. Die Fotos gingen per WhatsApp an meine Stammkneipe – und die Antwort ließ nicht lange auf sich warten: „Da freuen wir uns sehr drüber – und das wird auch nicht das letzte Mal sein.“
Das Wetter wurde grau und unbeständig. Zunächst fegte ein launischer Südwind über die Insel und brachte den angekündigten Saharastaub mit sich, sodass alle weißen Mauern und Autos mit einem schmutzig-gelben Belag überzogen waren. Nach dem Mondwechsel zogen kalte Tiefausläufer aus dem Norden heran und wuschten die Insel mit heftigen Regenfällen und Hagelschauern wieder sauber.
Das nasskalte und windige Wetter hielt sich noch bis weit in den April. Das bekam auch das mareTV-Team zu spüren. Am 2. April sollte die Vorhut auf Samos landen. Doch die Turboprop-Maschine kreiste eine Weile über der Insel Arki und musste schließlich wegen eines Gewittersturms über Pythagorion zurück nach Athen fliegen.
Als einige Tage später das restliche Team eingetroffen war, mussten sie zwei Tage unverrichteter Dinge im Hotel ausharren – heftige Regenfälle machten jeden Dreh unmöglich. Glücklicherweise gibt es wetterfeste und gemütliche Tavernen, in denen sich hervorragend besprechen und planen lässt.
Gleich nach unserer Ankunft Mitte März hatte ich Freunde angerufen, E-Mails und Viber-Nachrichten verschickt, um meine Netzwerke für das Thema mareTV zu interessieren. Zusätzlich gestaltete und druckte ich mehrere Flyer in griechischer und englischer Sprache, in denen ich das Format mareTV sowie das deutsche öffentlich-rechtliche Fernsehen vorstellte.
Das war wichtig und hilfreich – denn in der griechischen Fernsehlandschaft spielen die öffentlich-rechtlichen Sender (ERT) leider nur noch eine untergeordnete Rolle. Sie waren kaputtgespart worden und hatten dadurch an Bedeutung verloren. Heute dominieren die privaten Sender das Geschäft, und journalistische Kompetenz ist allzu oft einem ausgeklügelten Marketing gewichen. Fake, Crime und Telenovelas – unterbrochen von endlos langen Werbeblöcken – beherrschen die griechischen Flachbildschirme.
Es gibt auch einige Formate, die sich mit den Themen Reisen und Tourismus beschäftigen. „Μικρές Διαδρομές“ (Kleine Fahrten) ist zum Beispiel ein erfolgreicher YouTube-Kanal aus Samos.
Eigentlich betreibt Aris Konstantaras gemeinsam mit seiner Frau einen kleinen Supermarkt in Chora. Doch das allein erfüllt ihn nicht ganz, und so bietet er mit seinem weißen Transporter kleinere und größere Fahrten an – meist vom nahegelegenen Flughafen bis in die entlegensten Winkel der Insel. Das ist zwar durchaus lukrativ, aber wenig kurzweilig.
Also klemmt sich der kommunikative Aris eine Videokamera an die Windschutzscheibe und kommentiert seine Fahrten über die Insel. Manchmal hält er unterwegs an, zieht mit der Kamera wie ein visueller Handstaubsauger durch die Dörfer und quatscht jeden an, der sich nicht rechtzeitig hinter der nächsten Tür versteckt. Trifft er niemanden, lässt er seine Drohne steigen und unterlegt das Ergebnis mit sphärischer Musik.
Wer um Himmels willen schaut sich so etwas an? Viele – sehr viele. Sein Kanal hat eine große Reichweite, und das weltweit. Der Grund dafür ist einfach und plausibel: Viele Insulaner leben und arbeiten über die ganze Welt verstreut – in Australien, Kanada, den USA und halb Europa. Und viele Exil-Samioten sehnen sich nach ihrer Insel und ihren Dörfern. Da tröstet es schon, vertraute Straßen oder Häuser zu sehen – oder auch nur den Klang des heimatlichen Dialekts zu hören.
Tatsächlich gibt es auch griechische TV-Formate, die sich explizit dem Thema Reisen widmen. Eines nennt sich ΟΙ ΕΙΚΟΝΕΣ – „Die (besonderen) Bilder“. Letzten Frühling wurde ich Zeuge, wie die Truppe um den Hauptdarsteller Tassos Dousis auch in unser Dorf einfiel, um den zweiten Teil ihrer Samos-Story zu produzieren.
Das Format dreht sich ausschließlich um den mediokren Tassos, der selbstverliebt mit Models an seiner Seite durch die jeweilige Reisekulisse schwadroniert und dabei wohl dosierte Belanglosigkeiten von sich gibt. Das wäre ja an sich nicht verwerflich – hätte ich nicht auch sein Promo-Team erlebt, das vorher unsere beiden Tavernen heimsuchte, um ihnen ein „lukratives Angebot“ zu unterbreiten.
Tassos könnte durch das Lokal „schweben“, einen Happen essen und diesen natürlich loben. Gegen Aufpreis wäre auch ein Gespräch mit dem Inhaber oder einer anderen Person möglich – abgerechnet würde nach Minuten. Für den Preis einer einzigen Minute hätte man in der Taverne vermutlich ein Jahresabo für ein Essen zu zweit bekommen – inklusive Wein.
In unserem Dorf ging das ambitionierte Marketingkonzept nicht auf. Immerhin spendierte ein Wirt dem TV-Star einen ordentlichen griechischen Mokka. Mit einem originalverpackten Marmorkuchen eines griechischen Süßwarenkonzerns betrieb Tassos noch etwas Product Placement: Er öffnete die Packung so geschickt, dass das Logo gut zu erkennen war, und tunkte ein Stück Kuchen dramatisch-genüsslich in den spendierten Kaffee. Ein echter Profi!
Um Missverständnissen vorzubeugen, hatte ich in meinem kleinen Flyer das völlig andere Geschäftsmodell der deutschen Öffentlich-Rechtlichen erläutert. Bei mareTV wird niemand über den Tisch gezogen. Seit rund 25 Jahren berichtet die beliebte Fernsehsendung des NDR über Küstenregionen in aller Welt. Schwerpunkte der geplanten Dokumentation über Samos sollten die österlichen Aktivitäten sowie interessante Menschen sein – idealerweise solche, die eine Verbindung zum Meer haben. Auf einer Insel sollte es also nicht allzu schwer sein, passende Themen zu finden.
An einem regnerischen Freitag Ende März fuhren wir nach Agios Isidoros zu einer der letzten Kaiki-Werften der Ägäis. In dieser verwilderten Bucht am nordwestlichen Ende der Insel werden noch immer Kaikis, die Klassiker des griechischen Fischerbootes, gebaut. Es war auch nicht schwierig, den sympathischen Vangelis Mavroliadys für das Projekt zu begeistern.
Auch das Team von Archipelagos, dem Institut für Meeresschutz, war schnell überzeugt. Die Organisation aus Agios Konstantinos hat es sich zur Aufgabe gemacht, die biologische Vielfalt des nordöstlichen Mittelmeers durch eine Kombination aus angewandter wissenschaftlicher Forschung und gesellschaftlichem Engagement zu schützen. Mehr Meer geht nicht.
Als Nächstes klopfte ich bei Georgios und Kostas Kentouris an. Ihre Olivenölseifenfabrik liegt direkt am Meer in Ormos Marathokampos. Gerne wollten die beiden dem mareTV-Team Einblicke in ihre archaische, urige Produktionsstätte gewähren.
Selbstverständlich hatte ich auch meine unmittelbare Nachbarschaft in das Projekt eingeweiht – und das war gut so. Maria zur Rechten hatte die geniale Idee, ihren Enkel Georgios anzurufen und ihm davon zu erzählen – mit einem Hintergedanken: Er ist ein begnadeter Tänzer und gefragter Tanzlehrer. Georgios war sofort Feuer und Flamme. Gemeinsam mit Stefanos von der Tanzgruppe Ionikos organisierte er für den Dreh ein Tanz-Event an der Kirche oberhalb des Potami-Strands – mit über 20 Tänzerinnen und Tänzern, Live-Musik, selbstgemachtem Catering und einer im Meer versinkenden Sonne. Danke, liebe Maria zur Rechten!
(Der Insel-YouTuber Aris hat das Event für seinen Kanal Μικρές Διαδρομές mitgeschnitten.)
In jeder mareTV-Produktion gibt es meist einen roten Faden, der eine oder mehrere Personen mit ihren Geschichten verknüpft und damit die ganze Dokumentation zusammenführt und sinnvoll abbindet. Im Vorfeld hatte sich die Redaktion dafür eine Figur aus meinem Blog ausgesucht: Adonis, der Bäcker mit dem Moped.
Er kommt werktags zwischen zwölf und eins. Er kommt bei Wind und Wetter, selbst bei extremer Hitze – auf seine Mopedhupe ist Verlass. Früher hatte jedes Dorf mindestens einen Bäcker. Heute fährt man mit dem Auto in die Zentren zum Supermarkt oder Einzelhandel. Nur der Bäcker Adonis beliefert die Dörfer rund um Karlovasi mit frischen Backwaren. Die verschiedenen Brote und Kringel hängen bereits vorsortiert in Plastiktüten an seinem Moped. Adonis beliefert fast ausschließlich Stammkunden und weiß genau, was sie bevorzugen. Darunter sind viele ältere oder gebrechliche Menschen. Mit seinem roten Moped bezwingt er selbst die verwinkeltsten und engsten Gässchen – Orte, die mit einem gewöhnlichen Lieferwagen nie zu erreichen wären. Adonis wäre der ideale Protagonist, um die verschiedenen Orte und Themen der Dokumentation mopedfahrend zu verbinden.
Wäre. Adonis war sozusagen schon gesetzt, und ich drückte ihm beim nächsten Broteinkauf vor unserer Haustür meinen Flyer in die Hand. Darin hatte ich ihm beschrieben, dass das TV-Team ihn auf seiner Mopedtour begleiten und ihn in seiner Backstube bei der Produktion des Ostergebäcks – der Koulourakia oder des Tsoureki – filmen wolle. Er ließ das Blatt in seiner Hosentasche verschwinden, versprach, es zu Hause zu lesen, und knatterte davon.
Zwei Tage später erwartete ich ihn wieder an der Haustür. Adonis kam sofort zur Sache: Backstube gerne – aber nicht mit dem Moped. Ein klares „Όχι!“ Er ließ sich auch nicht auf eine Diskussion ein. Nein, der Dreh mit dem Moped würde ihm nur Ärger einbringen.
Mehrmals besuchte ich ihn und seine Frau Eleni in der Bäckerei, einmal sogar in Begleitung einer griechischen Freundin, um sprachliche Missverständnisse auszuschließen. Es blieb beim „Όχι!“ Nachdem die beiden uns ihre Beweggründe dargelegt hatten – über die ich mich hier nicht auslassen kann und möchte – konnte ich sie verstehen. Leider war uns damit auch die fröhlich-kommunikative Hauptfigur abhandengekommen. Leider.
Der zweite Themenschwerpunkt der Doku sollten österliche Themen auf Samos sein. Irgendjemand in der Hamburger Redaktion war auf das große Böller-Event am Ostersonntag in Marathokampos aufmerksam geworden und fand das anscheinend spannend. Am Ostersonntag wird es dort laut, sehr laut und auch gefährlich. Jedes Jahr zu Ostern messen sich die jungen und weniger jungen Männer der Gemeinde in einem Wettbewerb mit der kleinen Nachbarinsel Fourni.
Ich fand dieses Thema weniger überzeugend und einfach nur laut. Vielleicht ließe sich eine Story entwickeln, wenn man vorab einige der Protagonisten vorstellt, um sie dann bei den verbotenen Vorbereitungen zu begleiten. Über Nikolas, einen Freund, kamen wir in Kontakt mit den Bombenbastlern. Sie waren zu einem Treffen bereit und würden sich bei ihren gefährlichen Vorbereitungen auch über die Schultern schauen lassen.
Einzige Bedingung: keine Aufnahmen von Gesichtern. Der Umgang mit Dynamit wird in Griechenland strengstens kontrolliert, und das Herstellen von Sprengkörpern ist grundsätzlich verboten – auch vor und an Ostern.
Das Macho-Thema wollte zudem nicht so recht in die sonst freundliche und positive Grundstimmung der mareTV-Produktionen passen – zumindest nicht als österliche Hauptattraktion. Einige Bilder vom Böllerevent in Marathokampos – ergänzt durch einen Drohnenflug über und durch den Pulverdampf – sollten als atmosphärische Eindrücke ausreichen.
Eigentlich ist die Karwoche in Griechenland eine ganz besondere und stille Zeit. Viele Menschen fasten und besinnen sich auf traditionelle sowie religiöse Werte. Unser 94-jähriger Pope, „Papa Lex“, wäre die ideale Figur, um uns durch die Karwoche zu begleiten. Man könnte mit ihm und seinen drei Ziegen einen Spaziergang durch die blühende Frühlingslandschaft unternehmen und sich dabei von seinen spirituellen Ein- und Ausfällen inspirieren lassen. „Papa Lex“ ist manchmal etwas grantig, aber noch topfit. Wenn Not am Popen ist, springt er hin und wieder ein, um die hiesigen Kirchengemeinden zu unterstützen. So sollte er in der anstehenden Karwoche den erkrankten Priester in der Hafengemeinde von Karlovasi vertreten.
Allerdings ist die Hauptkirche in Limani seit dem großen Erdbeben vor fünf Jahren geschlossen, und die Gemeinde, der auch viele Fischer angehören, muss Ostern in einer kleinen Ersatzkirche mit den Ausmaßen und dem Charme eines griechischen Kiosks feiern. Ein ungewöhnlicher Ort, der wie geschaffen für einen mareTV-Dreh schien. Dachten wir, und wir planten weiter. Ich kontaktierte einen Bauingenieur, der sich auf Erdbebenschäden spezialisiert hat. Er sollte sich vor oder in der kaputten Geburtskirche Johannes des Täufers mit „Papa Lex“ über die Bauschäden und einen möglichen Wiederaufbau unterhalten.
Zunächst sprach ich mit einigen Personen unserer Kirchengemeinde, allen voran unserem Küster. Das Anliegen wurde sehr positiv aufgenommen und vorsichtig an den alten, knorrigen Popen herangetragen. Zu aller Überraschung war er nicht abgeneigt. Am Vortag des ersten Drehs trafen wir uns mit ihm, um den Spaziergang mit seinen Ziegen zu besprechen. Er lächelte und nickte. Das sei ja einfach, und ermahnte mich, meinen Hund zuhause zu lassen – der mache die Ziegen nervös. Ich versprach es ihm und wir verabredeten uns für den nächsten Mittag zwischen 12 und 13 Uhr am Ziegenstall.
Das Team, der Küster und ich waren am nächsten Tag pünktlich zur Stelle. Die schwere Ausrüstung, Kameras, Stative und das Equipment für den Ton waren hoch zum Ziegenstall geschleppt und in Stellung gebracht worden. Und so begann das Warten auf "Papa Lex". Es war ein wunderbarer, milder Frühlingstag. Schmetterlinge tanzten in den Sonnenstrahlen um uns, Adonis knatterte hupend mit seinen Brottüten durchs Dorf, und das taube Mütterchen von Makis bestaunte mit einem frischen Brot unterm Arm unseren seltsamen Aufzug. Bis auf das gelegentliche Gemecker der Ziegen tat sich nichts. Keine Spur von "Papa Lex".
Der Küster und ich machten uns schließlich auf die Suche. Wir klingelten und klopften an seinem Wohnhaus. Nichts. Auch die neugierig gewordene Nachbarschaft wusste nichts. Im Kafenion war er auch nicht aufgetaucht. Man vermutete, dass er auf Einkaufstour in Neo Karlovasi war. Und so war es auch. Nach 14 Uhr kam er mit einer Taxe angebraust und der Fahrer entlud Tierfutter aus dem Kofferraum. Wir halfen ihm, die Säcke zu seinem Haus zu tragen, in das er wort- und grußlos entschwand.
Wir waren verwirrt und begannen erneut zu klingeln und zu klopfen. Lange tat sich nichts – bis er plötzlich, wie Kai aus der Kiste, seinen kleinen Kopf herausstreckte, nur um uns sofort zu beschimpfen. Er sei müde, und wir sollten verschwinden. Sprach’s – und das Köpfchen mit den weißen Fusselhaaren verschwand so schnell, wie es aufgetaucht war.
Soviel zu unserer Idealbesetzung, die uns durch die Karwoche begleiten sollte. Alle waren geschockt und frustriert, und uns lief die Zeit davon. Das MareTV-Team hatte schon viel erlebt und ließ sich nicht so schnell aus der Ruhe bringen – echte Profis. Das störrische Verhalten des alten Popen hatte letztlich unsere gesamte Kirchengemeinde berührt. Eine große Anteilnahme und Hilfsbereitschaft fluteten uns und brachten vor allem neue Geschichten und Gesichter. Das Osterthema begann sich in eine neue und viel authentischere Richtung zu entwickeln, und das Team wurde mit sehr dichten und fantastischen Aufnahmen belohnt.
Mehr wird an dieser Stelle nicht verraten. Vielleicht noch so viel: Die Bäckerei von Adonis bekam noch eine zusätzliche österliche Rolle, und auch "Papa Lex" war zu seiner eigenen Überraschung plötzlich wieder mit im Spiel.
Das sympathische Fernsehteam hat in den drei Wochen auf Samos viel erlebt – auch, dass authentische Typen mit ihren Geschichten manchmal etwas seltsam oder widerspenstig sein können. Und die Menschen auf Samos haben Profis erlebt, die selbst unter größtem Stress gelassen und freundlich blieben. Fast jeden zweiten Tag werde ich gefragt, wie es den netten Jungs gehe – und wann und wo endlich die Dokumentation gezeigt werde.