Paleo karlovasi

Über Metallic-Farbtöne und samiotische UV-Strahlen

Unser Nachbar Jannis, der Mann von Maria zur Linken, prophezeit einen kalten und harten Winter. Er muss es wissen; schließlich verkauft er klein gehackte Stücke von alten knorrigen Olivenbäumen als Brennholz. Aber noch ist der Herbst sonnig und mild. Anfang November ziehen die letzten Wandertouristen durch unsere Gasse auf der Route 4 in Richtung der Höhle des Höhle des Heiligen Antonios und Potami. Es ist ruhig und beschaulich im Dorf. Einzig die vielen Handwerker sind aktiv. Überall wird gewerkelt, umgebaut oder winterfest gemacht. Er soll ja kalt werden - der nächste Winter.

Ende Oktober hatte es schon mal ordentlich geregnet. Aber dann wurde es unter dem anhaltenden Südwind wieder fast sommerlich warm. Herrliches Badewetter, aber viel zu warm für die Oliven. Die anstehende Olivenernte war in Gefahr. Viele Bäume trugen nicht oder warfen die unreifen Früchte zu früh ab. 2023 wird kein Olivenjahr. Indes hat sich bereits der Preis für das kostbare Öl aus der letzten Ernte fast verdoppelt - falls man überhaupt noch etwas bekommt. 

Dafür haben die Gemüsehändler reichlich Παντζάρια, Rote Beete im Angebot. Ich liebe Παντζάρια mit Knoblauchcreme(Σκορδαλιά), habe die Rüben aber noch nie zubereitet. Beherzt greife ich bei meinem Lieblingsgemüsehändler, dem dicken Kostas, zu und packe mir die dicksten Knollen samt der grünen Strunken ein. Der Dicke schüttelt sanft seinen mächtigen Schädel und schüttet die Rüben zurück in die Kiste. Mit seinen haarigen Pranken wählt er kleinere Knollen samt Grünzeug aus: Όσο μικρότερα, τόσο πιο τρυφερά. Je kleiner, desto zarter. Das findet auch Mariandi, die Wirtin unseres Kafenions, und packt sich den Rest der kleineren Exemplare in eine blaue, dünne Plastiktüte. Der Dicke hält Mariandi wortlos zwei weiße Knoblauchknollen entgegen. Sie nimmt ihm die Kleinere ab. Das reiche, sie bereite die roten Rüben klassisch zu - ohne die fette Creme, die vertrage ihr Mann Dimitris nicht. Er bekäme davon Sodbrennen. Der Gemüsehändler nickt zustimmend. 

Mariandi und ihr Mann Dimitris in ihrem Kafenion in Paleo Karlovasi

Gerade letzte Woche hatte ich die Rote Beete im Kerkis "klassisch" serviert bekommen. Dabei werden frische, fein geschnittene Knoblauchzehen erst ziemlich zum Schluss in den Topf zu den gedünsteten Rüben gegeben, um die pfeffrige Schärfe des Knoblauches zu erhalten. So will ich es auch machen. Mariandi hat noch den entscheidenden Bonus-Tipp für mich. Ich solle den Strunk von den Knollen abschneiden und die Dinger in etwas Salzwasser eine halbe Stunde brühen lassen. Danach ließe sich die ledrige Haut der Rüben problemlos ablösen und man könne die in Scheiben geschnittenen Knollen zu den gedünsteten Grünzeug geben. Stimmt. Hat prima funktioniert. Und den Knoblauch erst ganz zum Schluss! Danke Mariandi.

Eines beschaulichen Montagnachmittags klopfte es heftig an unsere Tür. Ein jüngerer, befreundeter Nachbar kam mit ernster Miene herein. Es musste etwas passiert sein. Er wollte sich nicht mal setzen und es brach aus ihm heraus - seine Freundin hätte beim rückwärtigen Einparken unseren Wagen beschädigt. Nur Blechschaden.  Ich entspannte mich sofort wieder. Er blieb ernst, zog sein Smartphone aus der Gesäßtasche und hielt mir ein Foto hin. Uppps! Beide Türen auf der Fahrerseite waren großflächig demoliert. Wie hat sie denn das geschafft? Ich überlegte, wie lange diese Reparatur dauern könnte. Ich hatte mittlerweile Erfahrung mit so etwas.

Im Sommer hatte ich mir beim Einparken in einer schmalen Gasse eine Beule in die Beifahrertür gefahren. Die seitlichen Abstandssensoren "übersahen" einen unscheinbaren Felsvorsprung auf Kniehöhe. Ein hässliches Geräusch und der anschließende Besuch in der lokalen Toyota-Werkstatt waren die Folgen. Glücklicherweise gibt es einen autorisierten Händler in Meseo Karlovasi. Georgios Vasileiou rieb sich gedankenschwer die Glatze und kam zu dem unmissverständlichen Schluss - eine neue Tür muss bestellt werden. Das kann dauern. Wie lange? Er wiegte bedächtig seinen glänzenden Schädel. Mindestens 10 Werktage. Nach zwei Wochen waren die Ersatzteile geliefert und die Türe konnte eingebaut werden. Ich dachte mir, das wäre ratzfatz erledigt. Georgios grinste mitleidig und wies mit seiner Pranke auf die vielen zerbeulten Toyotas, die alle noch repariert werden wollten. Das größte Problem bei meiner Tür sei nicht der Einbau, sondern die exakte Lackfarbe zu treffen. Nach der Lackierung wird jedes Teil mindestens zwei Werktage in die pralle Sonne gehängt, um die Auswirkungen der UV-Strahlungen auf die Metalic-Farbe einzuschätzen. Als ich den Wagen wieder abholen konnte, war Georgios Vasileiou endlich mit dem Ergebnis zu frieden. Ich auch. Er hatte eine perfekte Arbeit geliefert. Chapeau!  

Und nun war die andere Seite demoliert - nur diesmal viel heftiger und großflächiger. Wir gingen gemeinsam zur Unfallstelle, an der seine aufgelöste Freundin wartete. Ich nahm sie einfach in den Arm. Ist doch nur Blech. Ist doch nur ein Auto. Glücklicherweise war der quietsch gelbe koreanische Kleinwagen auch versichert. Ihr Freund hatte Georgios Vasileiou angerufen und der Toyota-Händler war nach einer Viertelstunde auch vor Ort. Gut, dass es nun die andere Seite erwischt hätte, kommentierte er flapsig. Georgios übernahm kurzerhand die Protokollaufnahme des Unfalls. Er nahm die Personalien von allen Beteiligten auf, kritzelte auf einen Block eine Unfallskizze und verfasste für die Versicherung der jungen Frau eine Zusammenfassung des Tathergangs, die wir dann beide unterschreiben mussten. Ehrlich gesagt, wusste ich nicht, unter was ich da meinen Kaiser-Wilhelm setzte. Ich konnte Georgios Gekrakel nur im Ansatz erahnen. Ich vertraute ihm. 
Danach passierte anderthalb Wochen nichts. Jedenfalls nichts, was ich mitbekommen hätte. Irgendwann rief der Autohändler an, dass er nun das Okay von der Versicherung hätte und die Türen bestellt seien. Die anschließende Reparatur verlief reibungslos und in gewohnter Qualität. Die Werkstatt hatte ja auch schon Übung mit dem komplizierten Metallic-Farbton und den samiotischen UV-Strahlen. 

Die griechische Versicherung hat uns für eine Woche einen Mietwagen spendiert. Immerhin. Meiner deutschen Vollkasko war unsere Mobilität nach meinem eigenen Schaden nicht so viel wert. Sie hätte mir einen fahrbaren Ersatz nur bei Totalschaden und das nur für drei Tage zugestanden. Steht so irgendwo im Kleingedruckten. Als ich Monate später nach der Erstattung der ausgelegten Reparaturzahlung nachfragte, kam folgende aufschlussreiche Antwort:
"Nach Rücksprache mit der Fachabteilung liegen alle notwendigen Unterlagen soweit vor. Allerdings muss die Rechnung noch durch ein Übersetzungsbüro ins Deutsche umgeschrieben werden und danach gegebenenfalls durch eine Sonderprüfung." Fühlt sich so die alte Heimat an?

Mittlerweile war es an der Zeit, schon mal an die Rückreise nach Deutschland zu denken. Doch davor hatten wir uns noch etwas vorgenommen. Im Laufe des Jahres war uns klar geworden, dass der alte verschrammte und teilweise morsche Dielenfußboden im oberen Wohnbereich keine Lösung auf Dauer sein konnte. Patina hin, Patina her. Da war Handlungsbedarf. Bereits im September hatten wir uns mit Agyris, dem Tischler unseres Vertrauens, bei uns getroffen. Er stapfte bedächtig und mit verschränkten Armen hinter dem Rücken durch den offenen Wohnbereich in die sich anschließende Küche, über den Flur und in die beiden Schlafzimmer. Nach einer Weile setzte er sich wieder an unseren großen Holztisch und wiegte nachdenklich seinen Lockenkopf und trank einen Schluck Filterkaffee - nicht ohne etwas das Gesicht zu verziehen. Er sähe im Grunde nur eine praktikable Lösung. Er schlug vor, auf den alten Dielenboden mit einer leichten, die Unebenheiten ausgleichenden Unterkonstruktion einen neuen Holzboden zu verlegen. Das wäre bei der Raumhöhe von gut über drei Metern kein Problem. Natürlich müssten alle Türen und Türschwellen angepasst sowie alle Fußleisten neu verlegt werden. Er machte eine kleine Pause, trank von dem bitteren Kaffee und ließ seinen Blick durch den offenen Wohnbereich schweifen. Und hier oben, seine rechte Hand beschrieb eine horizontale Rundumbewegung, müsste alles ausgeräumt werden. Wir nickten zustimmend, denn das war uns vorab schon klar gewesen. Wir mussten uns jetzt nur noch über das Material, den Zeitrahmen und den Preis einigen. Agyris wirkte erleichtert. Er ist nicht der Meister der vielen Worte. 


Immerhin vergingen noch einige Wochen und Arbeitsgespräche, bis das richtige Holz und möglichst umweltfreundliche Lackierungen gefunden waren. Agyris hat nun die langen Wintermonate Zeit, die Arbeit zu vollenden. Und wir mussten vor unserer Abreise nach Deutschland die Betten abbauen und alle beweglichen Möbel im Untergeschoß verstauen. Aber das macht man gerne, wenn man dadurch eine deutlich verbesserte Wohnsituation erhält. Wir sind gespannt. 

Der Abschied von Paleo ist uns schwergefallen. An einem der letzten Abende hatten wir uns mit unseren Nachbarn, die mittlerweile zu guten Freunden geworden sind, im Akamatra verabredet. An dem milden Samstagabend konnten wir sogar noch draußen sitzen, während der Wetterbericht für Deutschland viel Regen und erste Schneefälle ankündigte. Wir versprachen von jeder Station unserer Reise Fotos via Viber zu schicken. Das taten wir auch. 

Der Strand von Punta bei Diakopto am Golf von Korinth

Auf der Rückreise hatten wir zunächst Glück mit dem Wetter. Am Golf von Korinth war es immer noch sonnig und mild. Auch in Igoumenitsa und auf der Überfahrt bis kurz vor Ancona begleitete uns der späte Sommer. Damit war nun Schluss. Norditalien lag unter einer ausgeprägten Schlechtwetterfront. 

Gemütliche Trattoria in Brisighella

 

Die Fahrt nach Brisighella, der mittelalterlichen Kleinstadt in der Region Ravenna, war Horror. Starkregen, schlecht beleuchtete Straßen und viele Drängler, denen wir zu langsam fuhren. Kurz vor Brisighella war ein kleiner Fiat in den Straßengraben gerutscht. Wir waren froh, heile angekommen zu sein. Von dieser Fahrt hatten wir keine Fotos gemacht und verschickten erst anderentags einige von dem bedrohlichen Himmel über Norditalien. Es folgten einige Aufnahmen von der Fahrt über den Brenner durch die verschneiten Alpen und eine aus einem gemütlichen Wirtshaus im bayrischen Pfaffenhofen. Im Gegenzug erreichten uns bald Bilder von verregneten Gassen in Paleo Karlovasi. Endlich Regen! Καλό χειμώνα.

Photos by W. Schoendorf

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