karlovasi

Von alten Fehlern, neuen Straßen und Zwiebelsprösslingen

Man lernt nie aus. Noch im letzten Blogpost habe ich über kleinere Winterschäden im Haus berichtet, die ich der ausgeprägten Luftfeuchtigkeit hier oben in Paleo zu schrieb. Weit gefehlt.

Wenn man sich bei der „υγρασία“ entschuldigen könnte, müsste ich es wohl tun. Es hatte mich irgendwann stutzig gemacht, dass die erhöhte Feuchtigkeit nur an einer Stelle im Mauerwerk zur oberen Gasse auftrat. Zudem beunruhigte mich ein leises, aber seltsames Zischgeräusch in der Nähe des Wasserabstellhahns im Keller. Normal war das nicht. Alle Wasserhähne innen und außen, die Dusche und die Waschmaschine wurden auf Lecks oder Schäden untersucht. Nichts. Rudi ratlos. 

Eines schönen Junitages fiel mir auf der Straße vor unserem Haus zufällig eine unscheinbare, verrostete Abdeckplatte auf. Ich befreite sie vom Dreck und hob sie mit etwas Werkzeug vorsichtig an. Unter verrottetem Spinnengewebe und vermoderten Pflanzenresten glänzte ein schwarzer Wasserspiegel. Darunter konnte man etwas Helleres erahnen. Ich fasste hinein und konnte in der trüben Brühe etwas Rundes ertasten. Vermutlich eine Wasseruhr. Vermutlich unsere. Kurze Zeit darauf pumpte unser Nachbar und Installateur Gregori den Schacht aus und legte sie frei. Der Zulauf hatte ein Leck und nun war klar, woher die Feuchtigkeit in diesem Teil der Hauswand und unseren Holzdielen stammte. Fehler erkannt, Gefahr gebannt.

Es ging ratzfatz. In der Woche nach Agios Georgios am 23 April wurden zwei kleinere Bagger auf unserer großen Parkplatz-Platia abgeladen. Die kleinen Monster begannen unverzüglich mit ihrer lärmenden und zerstörerischen Arbeit. Bis auf einen schmalen Mauerrest, an dem der Stromzähler hängt, wurde ein Flachbau an der Rückseite des Platzes innerhalb weniger Stunden plattgemacht.Am Abend waren der gesamte Bauschutt und die beiden Bagger wieder verschwunden. Zurück blieben der hängende Stromzähler und eine allgemeine Ratlosigkeit. Viele Fragezeichen schwebten über den Köpfen der staunenden Dörfler, die sich unter der alten Platane eingefunden hatten. Niemand wusste etwas Genaues und so entstand Raum für Vermutungen, Spekulationen und Fakes - dazu später mehr. 


  
Bleiben wir zunächst bei den dürftigen Fakten. Das Bauwerk und der Grund gehören der Gemeinde Karlovasi. Als man Mitte der 60 Ziger Jahren des letzten Jahrhunderts die Autostraße baute, hat man auch die Platia neu angelegt. Die alte Brücke, die die beiden Ortsteile Galata und Akamatra verband, wurde abgerissen und an deren Stelle eine neue Fläche aufgeschüttet und zubetoniert. Auf diesem Platz konnten nun auch die Automobilisten parken. Als große Errungenschaft der neuen Autostraße wurde die Anbindung an das Schulbusnetz gefeiert. Die Jugend von Paleo wurde fortan bequem mit dem Omnibus in die Bildungseinrichtungen expediert.  Damit die wartenden Schulkinder nicht im Regen stehen mussten, baute man eine überdachte Bushaltestelle mit angeschlossener Kiosk-Gastronomie an der Rückseite des neuen Platzes. Moderne Zeiten. Es wurde allerdings großzügig am Bedarf vorbei geplant. Die ersten Betreiber des Kiosks gaben mangels blühender Umsätze schnell wieder auf und das neue Gebäude verwaiste. 

Links - das gelbe Gebäude vor dem Abriss

Erst nach der Juntazeit wurde der schmucklose Gemeindebau unter der alten Platane aus dem Dornröschenschlaf geküsst. Ein Stefanos aus Ikaria eröffnete eine kleine Cafe-Bar. Nein, nicht für Schulkinder. Eher für die lebens- und trinkfreudigen Generationen des Dorfes. Seine Frau Kanelli servierte zu Wein, Bier, Ouzo und Souma leckere Mesedes und Stefanos, genannt Fani unterhielt seine Gemeinde mit seinem unverwechselbaren trockenen Humor. Der Laden kam langsam in Schwung. 

Ungefähr ein Jahrzehnt später hatte sich der Darmstädter Maler Peter Müller in Paleo Karlovasi niedergelassen. Und so kam es, wie es kommen musste. Der deutsche Künstler entdeckt das charmante Kafenion und die eindrucksvolle und sehr liebenswerte Persönlichkeit war bald ein gern gesehener Stammgast. Wollte man Petros telefonisch erreichen, wusste man, wo man anzurufen hatte. Im Schlepptau von Peter Müller besuchten bald weitere Künstler, Schriftsteller und andere illustere Persönlichkeiten den kleinen Laden in Paleo. Fanis Kafenion avancierte zum angesagt verruchten Szene-Treff. Und wegen der spirituellen und sprirituosen Dichte nannte man die Bar bald Μικρό Παρίσι, Klein-Paris.

Peter Müller ist 2013 leider viel zu früh verstorben und auch das Mikro Parisi gibt es längst nicht mehr. Nun wurde auch noch die äußere Hülle der Legende dem Erdboden gleichgemacht. Temps perdu.

Nun rätseln alle, was sich unter der alten Platane tun wird. Die ersten Erklärungsversuche waren durchaus plausibel. Man hatte die Betonkonstruktion über eine Schlucht gebaut, durch die bei Starkregen erhebliche Wassermassen rauschen. In der Unterkonstruktion wurden Leckagen oder verstopfte Rohre vermutet, denn an regenreichen Wintertagen wird gerne mal die Platia überschwemmt. Diese Leitungen, so die erste Theorie, wolle die Gemeinde nun reparieren. Würde Sinne machen. 

Bei einer anderen Vermutung war ein verständlicher Wunsch der Vater des Gedankens - das bescheidene Parkplatzangebot sollte um einige Plätze erweitert werden. Gerade im Sommer, wenn die vielen Athener und Auslandsgriechen ihre Sommersitze in Paleo beziehen, wird das Parken schwierig bis hoffnungslos. In diesen Monaten ist es dann besonders ärgerlich, dass ein egoistischer Dorfgenosse seinen zugeschrieben Behindertenparkplatz unbenutzt lässt und bei Fremdbeparkung unverzüglich die Polizei alarmiert. Aber nein, auch der zusätzliche Parkraum wird wohl Wunschdenken bleiben.

Es kursierte eine neue Vermutung im Dorf, deren Halbwertszeit nur ein paar Stunden betragen würde - dachte ich. Falsch gedacht. Das Gerücht hielt sich und wurde mir in den unterschiedlichsten Varianten zugetragen. "Hast du schon gehört?" oder "Ich weiß aus einer verlässlichen Quelle ...".
Ein reicher Amerikaner, so beginnt diese Geschichte immer, der im Oberdorf Galata wohnt, möchte sich durch den Bachlauf der Schlucht eine Straße bauen lassen, damit er sein luxuriöses Anwesen zukünftig bequem mit dem Auto erreichen könne. Denn unsere Gassen sind eng und für amerikanische Straßenkreuzer schwer zu befahren. 

Ganz abgesehen von dem ungeheuren Frevel an der Natur, würde dieses Projekt den Tief- und Straßenbau an seine Grenzen bringen. Man müsste ca. 80 Höhenmeter auf einer Länge von einem halben Kilometer über einem felsigen Flusslauf und durch einen undurchdringlichen Urwald bewältigen. 

Trotzdem, das Gerücht hält sich beharrlich. Es residieren übrigens gleich mehrere reiche Amerikaner im Oberdorf und so langsam verliere ich die Übersicht über die diskutierten Straßenführungen. Vielleicht kann ich beim nächsten Blogpost mit neuen Erkenntnissen aufwarten. Ich bleibe dran.

Sie sehen schon etwas verwegen aus, die Zwiebelsprösslinge. Wegen der gebogenen Form und der verdickten Spitze hat das tiefgrüne Gewächs eine gewisse Ähnlichkeit mit dem erigierten Geschlechtsorgan männlicher Säugetiere. Und natürlich schreibt man der Καμπούνια eine aphrodisierende Wirkungen zu. Der Mensch, Pardon, der männliche Mensch ist ein begnadeter Mustererkenner - auch wenn die Vorlage ziemlich grün ist.


Im späten Frühling werden die Zwiebelsprösslinge für eine kurze Zeitspanne von unseren fahrenden Gemüsehändlern angeboten. Vor allem wegen ihres pikanten Aromas verwendet man sie gerne im Omelett und in Salaten. 

Das etwas strohige Ende und der kleine hellgrüne Zipfel werden abgeschnitten und entsorgt. Zusammen mit würzigen Kolbenradischen, grünem Spitzpakrika und einer neutralen Gurke kann man sich einen knackigen Καμπούνια-Salat schnippeln. Das vitaminreiche Ensemble wird noch mit frischem Zitronensaft, Salz, Pfeffer und Olivenöl verfeinert. Noch ein Hinweis an alle profilierten Mustererkenner: Zumindest eine verdauungsfördernde Wirkung kann den Zwiebelsprösslingen attestiert werden.

Fotos: Walter Schoendorf - Samos 2022/2023

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